Die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichbehandlung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung hat am 14. November 2025 unter dem Titel „#Talent4Tomorrow: Fachkräftesicherung und Beschäftigungspotenziale in Europa“ die diesjährige europäische Konferenz im Umweltforum in Berlin abgehalten.
Die für das Thema „Arbeit“ zuständige Senatsverwaltung entwickelt derzeit eine Berliner Fachkräftestrategie. Daran knüpfte die diesjährige Europa-Konferenz an: Gemeinsam mit internationalen und nationalen Expert*innen wurde diskutiert, wie der aktuelle und zukünftige Fachkräftebedarf gedeckt, welche Erfahrungen aus anderen Ländern genutzt und wie die Berliner Fachkräftestrategie erfolgreich gestaltet werden kann.
Inhaltliche Schwerpunkte der Konferenz waren Arbeitsmarktbeteiligung und Erwerbspotenziale bislang am Arbeitsmarkt unterrepräsentierter Gruppen, die Potenziale Künstlicher Intelligenz sowie Gute Arbeit und Qualifizierung junger Menschen als Schlüssel für die Fachkräftesicherung.
Rückblick auf die Konferenz
Die folgenden Abschnitte geben einen vertiefenden Einblick in die Beiträge, Diskussionen und Ergebnisse der Konferenz. Jeder Themenblock kann einzeln aufgeklappt werden.
Nach der Eröffnung der Konferenz durch eine Grußbotschaft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Kai Wegner, der die Gleichwertigkeit von Meister- und Masterabschlüssen hervorhob, folgte die Begrüßungsrede der Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung Cansel Kiziltepe. Die Senatorin betonte, dass Künstliche Intelligenz zwar Qualifikationslücken schließen und Beschäftigungspotenziale besser nutzbar machen könne, unterstrich aber auch: „Diese Transformation gelingt nur, wenn alle Menschen die Chance erhalten, sich weiterzubilden, neue Kompetenzen zu erwerben und Gute Arbeit zu finden.“
In einer anschließenden Impulsrede skizzierte Stefan Olsson (EU-Kommission, GD Beschäftigung) das europaweite Ausmaß des Fachkräftemangels und setzte den Akzent der Veranstaltung: Die besten Strategien zur Fachkräftesicherung stellen die Menschen in den Vordergrund. Dafür müsse Wettbewerb in Balance mit sozialer Inklusion stehen.
Die EU-Kommission hat in ihrem Entwurf für einen europäischen Talent Pool besonders hohe Defizite im MINT- und Pflegesektor attestiert, die ohne Gewinnung von Fachkräften aus Drittstaaten nicht behoben werden können. Neben dem Aktionsplan der EU-Kommission zur Fachkräftesicherung und der „Union of Skills“ sowie einer verstärkten Ausrichtung des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmens auf arbeitsmarktintegrierende Maßnahmen in Begleitung sozialer Investitionen, nannte Herr Olsson einige herausragende Good Practices, welche bestimmte Zielgruppen ansprechen und diese mit Hilfe eines holistischen Ansatzes (soziale bzw. berufliche Beratung, Sprachkurse, Orientierungsangebote etc.) unterstützen. Berlins Fachkräftestrategie, so Stefan Olsson, sei ein wichtiger Teil der Union of Skills. Er betonte, dass es am Ende Ansätze aus der Praxis seien, die die Strategien der EU-Kommission inspirierten.
In einem Gespräch mit der Moderatorin Dr. Julia Kropf diskutierten Senatorin Kiziltepe, Dr. Nicola Brandt (Leitung OECD Berlin Centre) und Stefan Olsson über die Umsetzungsmöglichkeiten und -hindernisse des Aktionsplans der EU in der Praxis der Mitgliedsstaaten. Obwohl einige der von der EU gesetzten Ziele (z. B. 60 % Weiterbildungsbeteiligung bis 2030) herausfordernd sind, nimmt Berlin europaweit insgesamt eine progressive Rolle ein. Zudem ist Deutschland mit der dualen Ausbildung in einer guten Ausgangsposition und ist daher grundsätzlich attraktiv. Gleichzeitig greifen die Akteure und Systeme in Deutschland hinsichtlich der Weiterbildung noch nicht gut genug ineinander. Dr. Nicola Brandt führte eine aktuelle Umfrage der Europäischen Investitionsbank an, nach der 80 % der befragten 13.000 europäischen Unternehmen im Jahr 2024 angaben, dass der Fachkräftemangel für sie das größte Hindernis für Investitionen gewesen sei.
Die Konkurrenz um Fachkräfte zwischen den Mitgliedstaaten betrachteten die Expert*innen nicht als kritisch, da alle Länder zum einen reichlich Personen im eigenen Land aktivieren und mobilisieren könnten und zum anderen Millionen von Menschen in zahlreichen Ländern auf Arbeitsmöglichkeiten warten würden. Besser werden müssen die meisten Länder – auch Deutschland – allerdings im „Matching“ von Arbeitssuchenden und Unternehmen und in der Unterstützung beim Spracherwerb.
Anschließend an diese Einblicke in die aktuellen Debatten um die Fachkräftesicherung hatten die anwesenden Expert*innen aus Europa und Berlin in vier LearnLabs die Gelegenheit, durch Wissenstransfer die besten Lösungsansätze herauszuarbeiten, welche von den jeweiligen Lab-Rapporteur*innen nachfolgend auf der Hauptbühne ausgewertet wurden:
Gute Qualifizierungsprogramme sollten einen ganzheitlichen Blick auf den Menschen haben. Begleitende Angebote wie soziale Beratung, Spracherwerb etc. müssen einem mit den Arbeitgebern verzahnten Ansatz folgen.
Das LearnLab setzte sich aus zwei Teilen zusammen - einer Paneldiskussion und vier KI- Anwendungsbeispielen im World Café-Format.
Im Panel wurde festgehalten, dass bei der Einführung von KI die intensive Zusammenarbeit der Leitungs- und Fachebene unabdinglich für die notwendige Kompetenzentwicklung ist. Die Beschäftigten sind die Expert*innen ihrer Prozesse und können diese mit dem notwendigen Grundtraining am besten optimieren.
Im zweiten Teil „KI in der Praxis“ wurden konkrete Anwendungsbeispiele vorgestellt, die zeigen, wie KI in verschiedenen Bereichen eingesetzt wird – etwa zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit, in der Beratung von Fachkräften und Unternehmen sowie beim Matching von Arbeitsplätzen und Kompetenzprofilen.
Die Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen ist heute mehr denn je eng mit der Ausprägung einer „Willkommenskultur“ verknüpft. Aufenthaltsperspektiven sind enorm wichtig, um sich auf Weiterbildung und langfristige Entwicklungen am Arbeitsplatz einlassen zu können. Diskriminierung auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt stehen dem entgegen. Berlin-spezifisch müssen die breitgefächerten Unterstützungsangebote gebündelter und sichtbarer zugänglich gemacht werden.
Der Fokus von Fachkräftesicherung muss auf der Talentsuche und -förderung liegen, wobei die Arbeitsqualität die Attraktivität des Berufsfeldes bestimmt. Mit Blick auf den Aufbau von Kompetenzen wird das gleiche Training nicht alle erreichen, es braucht daher individualisierbare Elemente, die mit vorhandenen Prozessen und Systemen verzahnt werden.
Parallel zum Hauptprogramm konnten die Teilnehmenden sich im Dialogforum an Ständen mit verschiedenen Akteuren aus dem Spektrum der Fachkräftesicherung austauschen und deren Organisationen kennenlernen.
Prof. Dr. Melanie Arntz (Vizedirektorin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA)) präsentierte in ihrer Keynote auf Forschungsergebnissen basierende Potenziale und Herausforderungen, die mit der Digitalisierung in Hinblick auf den Fachkräftemangel einhergehen. So befindet sich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung derzeit zwar noch auf einem historischen Hoch, stagniert aber bereits und wird nun nach langer Vorankündigungszeit rückläufig werden. Deutschland – und Berlin insbesondere – hat zudem eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Die Zahl der Jugendlichen ohne Berufsausbildung ist besorgniserregend, viele gehen an Helferjobs verloren.
„Wir sind“, so Prof. Arntz, „mit einem starren Arbeitsmarkt konfrontiert, der nicht auf die Investitionen reagiert.“ Dies müsse mit Mobilität von Fachkräften durchbrochen werden, was wiederum ohne eine bessere Willkommenskultur in Deutschland nicht nachhaltig gestaltet werden könne. Durch KI könnten auch in bisher weniger progressiven Sektoren Produktionspotenziale genutzt werden, wenn sie durch komplementäre Investitionen in das Humankapital begleitet würden.
Auch Prof. Dr. Arntz unterstrich Herrn Olssons Plädoyer aus seiner Impulsrede:
Der Mensch muss in den Mittelpunkt der digitalen Transformation gestellt werden.
Im abschließenden Panel diskutierten Micha Klapp (Staatssekretärin für Arbeit und Gleichstellung), Carina Knie-Nürnberg (Geschäftsführerin operativ der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, BA), Alexander Schirp (Hauptgeschäftsführer Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg), Nele Techen (Stv. Vorsitzende DGB Berlin-Brandenburg) und Prof. Dr. Melanie Arntz Kriterien für Gute Arbeit, auf die es sich im Rahmen einer grundsätzlichen Zusammenarbeit in der Fachkräftestrategie zu einigen gilt.
Carina Knie-Nürnberg berichtete, dass die erfolgreichsten Unternehmen im Wettbewerb um Fachkräfte bereits aus eigenem Antrieb gute Arbeitsbedingungen anböten und gerade das Arbeitsvolumen von Frauen stark von diesen abhinge. Gute Arbeit verlange auch Flexibilität.
Prof. Dr. Melanie Arntz machte sich mit Blick auf eine mögliche Regelarbeitszeit bis 70 besonders stark für nachhaltig gute Arbeitsbedingungen, ohne die Fachkräfte nicht länger arbeiten könnten.
Sowohl Micha Klapp als auch Carina Knie-Nürnberg betonten die Notwendigkeit von mehr gemeinsamem Wissensmanagement in der Verwaltung.
Alexander Schirp hob als beispielhafte Maßnahme hervor, dass jede*r Berliner Schüler*in zwei Berufe über Praktika kennenlernen soll, was den Unternehmen eine große Anstrengung abfordere, aber Jugendlichen mehr Perspektiven aufzeigen könne.
Nele Techen betonte ebenfalls die Notwendigkeit für junge Menschen, schon früh durch Qualifikationen auf die Komplexität der Gesellschaft und der Arbeitswelt vorbereitet zu werden.
Von der Moderatorin Dr. Julia Kropf aufgefordert, Berlins Stärken in der Fachkräftesicherung zu nennen, beschieden alle Expert*innen der Hauptstadt neben vielen anderen Faktoren Vielfalt, Weltoffenheit und Innovation. Eine gute Ausgangslage für Transformation.
In ihrer abschließenden Rede dankte Staatssekretärin Micha Klapp allen Teilnehmenden vor Ort und im Livestream für ihre engagierte Beteiligung an Austausch und Vernetzung. Die Inputs und Beispiele aus anderen Ländern brächten Akteure in einer Europadimension zusammen, die stets von Gesetzgebungskompetenzen, Ressourcen und finanziellen Rahmen abhängig sei. Dieses beeindruckende Engagement und den Input wolle Berlin in seine tägliche Arbeit übertragen.
Impressionen der Konferenz
Livestream (Originalton / Original Sound)